Viktoria News
Unermüdlicher Mitgestalter des weiß-blauen „Wirtschaftswunders“
08. Februar 2021

Mit „Stehaufmännchen“ Otto Schmitt ist ein weiteres Original aus glorreichen Oberliga-Süd-Tagen im Alter von 92 Jahren verstorben

Als sportlichem Allroundtalent und vielseitigem Tausendsassa hätten Otto Schmidt nach vom Krieg überschatteten Jugendjahren sicherlich viele Möglichkeiten offen gestanden. Dass Fußball spielen bei der Viktoria letztlich den Zuschlag bekam, war zum einen einem prominenten Fürsprecher zu verdanken und darf zum anderen als Glücksfall bezeichnet werden, war es doch der Beginn eines 73 Jahre währenden, lebenslangen Bundes. Dieser fand zwar mit dem Tod von Schmitt am 30. Januar 2021 sein physisches Ende, sein Geist sollte aber gerade bei einem Traditionsverein weiter wirken.

Geboren wurde Otto Schmitt im Jahre 1928 in Torreon/Mexiko. Sechs Jahre später siedelte die Familie nach Deutschland über. Seine ersten Kontakt zum Fußball hatte Otto Schmitt 1938 bei der Jugend des SV Damm. Kriegsbedingt war er gezwungen, in der Folgezeit auf andere Sportarten auszuweichen, was ihm als sportlichen Allrounder allerdings keinerlei Schwierigkeiten bereitete. Die Palette reichte von Leichtathletik und Handball beim Eisenbahnersportverein über Turnen beim TV Aschaffenburg bis hin zum Segelfliegen.


Otto Schmitt bestritt über 300 Pflichtspiele für Viktoria Aschaffenburg. 196 Partien davon in der damals erstklassigen Oberliga Süd. Hier erzielt Otto Schmitt in der Spielzeit 1947/48 gegen Ulm die 1:0-Führung (© Viktoria Aschaffenburg)

Von Ernst Lehner entdeckt

Nach dem Krieg spielte er zunächst Handball beim SV Sulzbach, wechselte dann aber zur Viktoria an den Schönbusch, wo er zunächst in der zweiten Mannschaft spielte. Die Viktoria war zwischenzeitlich von der Landesliga in die Oberliga Süd aufgestiegen und hatte im ersten Jahr die Klasse halten können. Als zur Saison 1946/47 unter großem öffentlichen Aufsehen der Altinternationale Ernst Lehner vom TSV Schwaben Augsburg als Spielertrainer an den Schönbusch geholt wurde, schlug Schmitts Stunde. Lehner erkannte sein Talent und zog ihn in die Erste hoch. In 14 Jahren sollte der sich, gleich ob offensiv oder defensiv, auf sämtlichen Positionen heimisch fühlende Schmitt über 300 Spiele für die erste Mannschaft bestreiten, davon laut Vereinschronik 196 Spiele in Oberliga Süd und 2. Liga, in denen er 35 Tore erzielte. Am meisten zu leiden hatten unter seiner Treffsicherheit die Münchner Löwen, die er prompt lakonisch zu seiner „Lieblingsmannschaft“ erklärte. Exemplarisch erwähnt sind in der Chronik aber die drei Treffer, die Schmitt in der Oberliga-Süd-Saison 1955/56 zum 5:0-Heimsieg gegen den SSV Reutlingen beisteuerte. Zur Einordnung: Die Viktoria erreichte in dieser Runde mit Rang 5 ihre beste Platzierung, der Zuschauerschnitt am Schönbusch belief sich auf 9.400. Mit diesem Zuspruch, von dem heute jeder träumen würde, befand sich die Viktoria ligaweit im letzten Drittel der Zuschauertabelle. Krösus war der VfB Stuttgart mit einem Schnitt von 20.902 Besuchern. Kurios: Damit hatten die Schwaben ihr Stadion mit 34,5 Prozent nur zu gut einem Drittel ausgelastet, während das Stadion am Schönbusch mit 104 Prozent Auslastung buchstäblich aus allen Nähten platzte…


„Stehaufmännchen“ Otto Schmitt mit der Nummer 3 im Duell bei Jahn Regensburg. Das Foto wurde in der Spielzeit 1955/56 aufgenommen. Diese Saison beendete Viktoria Aschaffenburg als Fünfter. Bis heute die beste Platzierung in der Vereinsgeschichte. (© Viktoria Aschaffenburg)

Die Viktoria ließ ihn nicht los

Als Otto Schmitt im Alter von 34 Jahren 1962 seine aktive Laufbahn beendete, hatte der Höhenflug der Viktoria mit dem letztmaligen Abstieg aus der Oberliga in der Saison 1959/60 bereits sein Ende gefunden.

Tausendsassa Schmitt war dem Fußballsport im Allgemeinen und der Viktoria im Besonderen einfach zu sehr verbunden, um es bei dem Abschied von der großen Fußballbühne bewenden zu lassen. Da bot ihm die Viktoria-AH, der er fortan über 21 Jahre bis 1984 angehörte, ein neues sportliches Zuhause unter gleichem Dach, vor allem aber die Möglichkeit des geselligen Austauschs mit seinen Ex-Mannschaftskameraden. Erst im Alter von 56 Jahren hängte Schmitt die Kickschuhe endgültig an den Nagel. Freilich gab es für den Fußballrentner weiterhin kein Entrinnen, denn die Enkel Timo und Moritz Allig (seinerzeit bei der Viktoria in diversen Jugendmannschaften aktiv, heute FC Viktoria Kahl) schickten sich an, in Opas Fußstapfen zu treten, was manch eine private Trainingseinheit auf den Plan rief. Den Namen Allig werden viele ältere Viktoria-Fans sicher noch im Hinterstübchen haben, denn Otto Schmitts Schwiegersohn Dieter Allig begann bei der Viktoria im Jahre 1978 seine Karriere, die ihn über die Frankfurter Eintracht zu den Zweitligisten Wuppertal und Oberhausen führte. Bruder Manfred bestritt Anfang der 80er Jahre für den VfR Bürstadt in der 2. Bundesliga Süd 45 Spiele, in der Saison 1985/86 spielte er in der 2. Liga für die Viktoria und brachte es in dieser Spielzeit auf neun Einsätze im weiß-blauen Trikot.

Das alles ergibt das Bild einer Viktoria-Familie in des Wortes ureigenster Bedeutung, eines „inner circle“, in dem sich Otto Schmitt bestens eingebettet gefühlt haben mag. Ein Patriarch ist er freilich nie gewesen, seine Tochter Margit Allig schildert ihn vielmehr als bescheidenen Menschen, der es sich nicht nehmen habe lassen, bis ins hohe Alter den Stammtisch der ehemaligen Viktoriaspieler zu besuchen. Erst nach dem Tod seiner geliebten Ehefrau Hella vor zwei Jahren habe er sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Wenn es so etwas gibt wie ein Vermächtnis…

Verbürgt ist, dass Otto Schmitt den Spitznamen „Stehaufmännchen“ von seinen renommierten Gegenspielern in der Oberliga Süd verliehen bekam, als offensichtliche Respektsbekundung gegenüber seiner unverwüstlichen Mentalität. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird jemand als Stehaufmännchen bezeichnet, der„sich nicht durch Niederlagen oder Misserfolge entmutigen lässt, diese überwindet und sich immer wieder neu auf das Leben einlässt“ (Wikipedia). Diese psychische Widerstandskraft bezeichnet man heutzutage in der Psychologie als Resilienz und hat nicht zuletzt auch die Viktoria alle ihre gewiss nicht wenigen schwierigen Phasen in der Vereinsgeschichte überstehen lassen. Dass „sein“ Verein so unbeirrbar weitermacht und wie die bekannte Aufstehfigur nach jedem Anstoß wieder in die ursprüngliche Ausgangsposition zurückschnellt, das wäre neben einem Platz im kollektiven Vereinsgedächtnis ganz gewiss in Otto Schmitts Sinne. Die Viktoria würdigt demnach seine Lebensleistung am besten, indem sie entsprechend agiert und sein Vorbild zu ihrem Anspruch macht.

Otto Schmitt hätte es sicherlich gefallen, wenn er seinen Nachruf auf der Viktoria-Seite hätte lesen können, so das Pro-Argument seiner Tochter Margit Allig für eine Veröffentlichung auf unserer Homepage. Da schimmert sie wieder durch, die unverwüstliche Stehaufmännchen-Mentalität…


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Stand: 8. Februar 2021 / Verfasser: Wolfgang Fleischer & Moritz Hahn

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