Viktoria News
Am liebsten unter dem Radar
13. November 2021

Elias Niesigk ist seit Sommer 2020 ein Viktorianer und hat sich in dieser Zeit zu einem der wenigen Spieler entwickelt, der in fast jedem möglichen Spiel zum Einsatz kam und so kaum noch wegzudenken ist

Mancher Leser wird jetzt vielleicht überrascht sein ob dieser Tatsache. Doch es stimmt. Elias Niesigk hat seit seiner Verpflichtung von 36 möglichen Spielen seit seiner Verpflichtung exakt 35 gemacht (Stand: 09.11.2021). Dass dies manchem nicht bewusst sein mag, könnte an der Art von „Eli”, wie er von seinen Freunden genannt wird, liegen. Denn menschlich als auch auf dem Platz agiert er am liebsten unter dem Radar. Steht nicht gerne im Mittelpunkt des Geschehens und lässt den anderen den Vortritt. Er ist ein kluger Mensch und ein intelligent spielender Fußballer. Einer, der das Spiel lesen kann, vorausschauend agiert und damit ein unglaublich wichtiger Faktor für den Erfolg des Teams ist. „Auch wenn man es vielleicht nicht glauben mag, mir ist ein Sieg ohne ein Tor von mir lieber, als ein Unentschieden mit einer Torbeteiligung”, gibt der 26 Jahre alte Offensivspieler offen zu.

Die Entwicklung zu einem unverzichtbaren Spieler kommt nicht von ungefähr. War es in seiner gesamten Laufbahn bis zu seinem Wechsel an den Schönbusch so, dass er mit dem, was er konnte, „durchkam”. Ohne auch nur ein wenig on top machen zu müssen, wie er selbst sagt. Erst sein Aufenthalt in den USA hat ihm aufgezeigt, wie wichtig es sein kann, immer etwas mehr zu tun als andere und es sich nie in der Komfortzone bequem zu machen. Dass der gebürtige Aschaffenburger dies so reflektiert berichtet und ganz offen dazu steht, ist das Besondere an ihm. Es zeigt, welch ehrlicher und aufrechter Mensch er ist. Der Erfolg ist messbar: In dieser Saison stehen bereits fünf Treffer und zwei Assists bei ihm zu Buche – womit er derzeit die erfolgreichste Offensivkraft seiner Mannschaft ist. Und das, obwohl er aufgrund seiner Spielanlage kein typischer „Knipser” im Strafraum ist. Anders als der Profispieler, dessen Trikot Elias Niesigk als Kind einst geschenkt bekam: Bayern Münchens Carsten Jancker – seines Zeichens ein Paradebeispiel für einen „Knipser.”


Elias Nieisgk entdeckte früh seine Leidenschaft für den Fußballsport (© Privat)

Die Freude am Sport und die Begeisterung für jede Form der Bewegung bekommt Elias Niesigk schon in die Wiege gelegt. „Ich komme zwar nicht direkt aus einem Fußball-Elternhaus, aber aus einem sehr sportlichen. Mein Vater hat Handball und Volleyball gespielt, meine Mutter auch Volleyball. Dabei haben sich die beiden damals auch kennengelernt”, grinst Eli beim Erzählen. „Tennis haben auch beide gespielt und meine Mutter war eine Marathon-Läuferin. Sport hat immer eine große Rolle gespielt. Auch bei meiner Schwester Celina, die vier Jahre älter als ich ist. Sie ist mittlerweile Sport- und Mathelehrerin, auch sie hat viele Sportarten ausprobiert. Ich war also nicht automatisch auf das Fußballspielen festgelegt.” Das Verhältnis innerhalb der Familie ist bis heute eng. „Meine Schwester wohnt in Frankfurt, ich mit meiner Freundin Kristin in Kleinostheim und meine Eltern im Elternhaus in Dettingen. Wir sehen uns regelmäßig und tauschen uns immer wieder aus. Ich würde ohnehin sagen, dass ich sehr behütet aufgewachsen bin. Meine Schwester und ich wurden immer unterstützt – egal bei was. Dafür bin ich meinen Eltern unendlich dankbar”, plaudert Eli aus dem Nähkästchen.


Elias und seine 4 Jahre ältere Schwester Celina haben ein sehr gutes Verhältnis (© Privat)

Das Fußballfeld im eigenen Kinderzimmer

Genaue Erinnerungen an die Anfänge seiner fußballerischen Laufbahn hat der Rechtsfuß mit den langen Beinen nicht mehr. „Wir haben darüber auch nie wirklich gesprochen. Lustigerweise hat mir aber meine Mutter gerade vor ein paar Wochen zum ersten Mal überhaupt davon erzählt. Es muss so gewesen sein, dass ich mit fünf Jahren unbedingt Fußball spielen wollte, der Jugendtrainer in Dettingen mich hingegen aber nicht haben wollte, weil ich noch zu klein war. Meine Mutter war dann wohl so hartnäckig und hat den Trainer regelrecht belagert, damit ich mit fünf tatsächlich dort mitspielen durfte.” Eine Vorliebe für einen bestimmten Verein mit entsprechenden Stadionbesuchen gab es im Hause Niesigk nicht, aber im Radio wurde die Bundesliga-Berichterstattung regelmäßig verfolgt. „Ich erinnere mich, dass ich mit meinem Vater immer am Radio gewesen bin, wenn Bundesligafußball lief. Und ich hatte natürlich die BRAVO Sport zuhause und dementsprechend hingen immer wieder Poster in meinem Zimmer an den Wänden. Ich entwickelte mich damals zu einem Bayern-Fan, heute würde ich sagen, dass ich zwar noch Sympathisant bin, aber kein Fan mehr”, betont er und liefert damit die Erklärung, weshalb das erste eigene Trikot das eines Bayern-Stürmers war.

Dafür, dass aus Elis Fußballtalent etwas werden würde, legt der Papa schon früh den Grundstein. „Ich hatte für mein Alter von sechs Jahren ein großes Kinderzimmer und mein Vater hatte mir in die beiden Dachschrägen zwei Tore hineingebaut, so dass ich immer und jederzeit in meinem Zimmer kicken konnte. Da er handwerklich wirklich begabt ist, war des Bett zum Hochklappen eingebaut, so dass ich quasi in einem Tor schlief und wenn ich spielen wollte, klappte man das Bett einfach hoch. Das war eine geniale Konstruktion und ich hatte ein etwa sechs Meter langes Fußballfeld, auf dem ich mich austoben konnte”, räumt Niesigk rückblickend Bewunderung ob der handwerklichen Fähigkeiten seines Vaters ein und ergänzt, dass „natürlich nur mit Softbällen geschossen werden durfte.”


Raus aus der Komfortzone. Niesigk geht für die Viktoria bis an die Grenze (© Moritz Hahn)

Über die Fußballschule von Andy Trageser, die Eli damals schon mit Philipp Beinenz gemeinsam besuchte, kommt er in der D-Jugend zu Bayern Alzenau, weil Trageser dort Vorstandsmitglied war. 12 Jahre spielt Elias Niesigk für Alzenau. „In der D-Jugend wechselte ich tatsächlich sogar mit Philipp Beinenz nach Alzenau. Ihn zog es dann nach Darmstadt und Offenbach und ich blieb in Alzenau.” Niesigk weiß damals genau, was er dort hat und weiß das zu schätzen. „Wir waren eine über viele Jahre hinweg zusammengewachsene und homogene Gruppe, die zum Teil von der D-Jugend bis in die Herren-Mannschaft zusammenspielte. Wie Luca Dähn beispielsweise, mit dem ich dort und später auch bei der Viktoria zusammenspielte und hoffentlich auch bald wieder werde, sobald Luca aus den USA zurück ist. Das hat großen Spaß auf und abseits des Platzes gemacht.”


Familienmensch Elias Niesigk mit seiner Freundin Kristin und seinen Eltern (© Privat)

Disziplin und Organisation in einem sportbegeisterten Elternhaus

Überhaupt ist immer viel los im sportbegeisterten Hause Niesigk, so dass die Organisation aller Termine und Verpflichtungen genau getaktet sein muss. „Meine Schwester und ich hatten Termine und Training, meine Eltern auch und so mussten die Fahrdienste gut geplant sein, aber auch jeder Tag an sich. Ich hatte mehrfach pro Woche Fußballtraining, spielte aber auch noch höherklassig Tennis, übrigens auch mit Luca Dähn in einer Mannschaft. Von daher gab es klare Regeln für den Ablauf, die eingehalten werden mussten. Ich bin meiner Mutter dankbar, dass sie in Sachen Ordnung und Disziplin sehr akribisch war, denn ich habe das total übernommen und kann mich heute beruflich sehr gut strukturieren und diszipliniert arbeiten”, gibt Eli zu. Räumt aber ein, dass auch er an freien Tagen gerne einfach mal alles stehen und liegen lässt. Bei all den klaren Regelungen habe es nie Diskussionen um das Thema Schule gegeben. „Es war klar, dass jeder von uns erst ins Training gehen konnte, wenn die Hausaufgaben erledigt waren und die Noten stimmten, von daher wussten wir, woran wir sind und haben uns daran auch gehalten”, berichtet er der etwas ungläubig dreinblickenden Autorin, die ihrerseits Mutter eines weiblichen „Pubertiers” ist und mehr Diskussionsbedarf rund um dieses Thema kennt.

Niesigk bezeichnet sich rückblickend als „ambitioniert” in Sachen Fußball, der Sprung ins Profilager stand aber zu keinem Zeitpunkt zur Debatte: „Tatsächlich hat sich diese Frage gar nicht gestellt, da ich zwar in der D-Jugend noch talentierter war als manch anderer, sich dies aber im Laufe der Zeit verändert hatte. Meine Eltern hätten zwar auch das ganz sicher unterstützt, aber es ergab sich einfach nicht. Dazu spielte ich wie gesagt auch noch Tennis, habe auch meinen Tennis-Trainerschein gemacht und mir mit Trainerstunden etwas Geld verdient, von daher wäre das alles gar nicht vereinbar gewesen.” Er ist auf der einen Seite zufrieden mit dem, was er in Alzenau hat und was er kennt. Er fühlt sich wohl – und das ist ihm wichtig. Dieses Gefühl braucht er, um Leistung bringen zu können. Egal ob im Sport, in seinem beruflichen oder privaten Umfeld. Und dennoch spürt er tief im Inneren, dass er seine Komfortzone auch einmal verlassen muss. „In meinem letzten A-Jugend-Jahr fragte der SV Darmstadt 98 an, ansonsten galt es immer nur, das Beste aus dem herauszuholen, was in Alzenau möglich war. Und dafür musste ich mich auch nie über Gebühr anstrengen. Aber ich merkte zunehmend, dass ich mir immer schwerer tat, in einem neuen, mir ungewohnten Umfeld gut zurecht zu kommen und dachte mir, dass ich daran etwas ändern müsse.”


Nach seinem Bachelor zog es Elias Niesigk in die Vereinigten Staaten (© Privat)

Neue Erfahrungen in den USA prägen

Nach dem Abitur studiert Niesigk Betriebswirtschaft und Recht an der TH Aschaffenburg und beschließt 2018 nach seinem Bachelortitel, den Masterabschluss in den Vereinigten Staaten von Amerika zu machen – und nebenbei in der College-Mannschaft Fußball zu spielen. „Ich war nach meinem Bachelorabschluss einfach mit 24 Jahren noch nicht ganz so weit, genau zu entscheiden, welches Feld meiner Berufsmöglichkeiten mich am meisten interessiert. Dazu wollte ich mich einfach mal trauen, so etwas zu tun. Meine Komfortzone zu verlassen und bei einem Auslandsaufenthalt einfach einmal genau das Gegenteil von dem zu machen, was ich zuvor immer in meinem gewohnten Terrain tat”, räumt er ein und schätzt das heute als „beste Entscheidung” ein, die er treffen konnte. Alleine der Sprache wegen, wie er amüsiert offenbart: „Ich hatte Englisch in der 10. Klasse abgewählt und habe in Latein mein Abitur gemacht, weil ich mir so bessere Erfolgsaussichten versprach. Dementsprechend waren meine Englischkenntnisse zu Beginn meiner Reise bescheiden, musste mich aber schnell eingewöhnen, weil keine Zeit zum Jammern blieb.” Den Bundesstaat Florida lernt er dabei als Multi-Kulti-Staat kennen: „Man hat kubanischen Einfluss, viele Migranten von den vorgelagerten Inseln und natürlich auch konservative Trump-Anhänger, die dort zusammenleben. Die Amerikaner habe ich grundsätzlich als sehr freundlich, super hilfsbereit und offen kennengelernt. Was mir jedoch nicht so gefallen hat, ist die eher oberflächliche Art, mit der man dort durchs Leben geht”, gibt Eli zu und betont, dass ihm daher der Kontakt zu seinen Mitspielern des College-Teams als Abwechslung zum Umgang mit den Amerikanern wichtig war: „Unser Fußball-Team war eine bunt gemischte Truppe und wir hatten Italiener, Franzosen, Spieler aus Panama und viele andere in unseren Reihen und es kamen so viele Kulturen unproblematisch zusammen. Das fand dich wirklich beeindruckend.”

Oberflächlichkeit ist in der Tat nicht seine Sache. Elias Niesigk ist eher ein Kopfmensch, ein Denker, der gründlich in alle Richtungen abwägt, bevor er etwas entscheidet. Einer, der die Gabe besitzt, sich selbst realistisch einzuschätzen und dies auch offen zuzugeben. Er ist keiner, der die lauten Töne liebt und Gefahr läuft, sich selbst zu überschätzen. „In Amerika ist der Grat zwischen einem selbstbewussten Auftreten und dem Hang zur Überheblichkeit sehr schmal. Ich betreibe lieber Understatement statt offensiv mit meinem Können, egal in welchem Bereich, hausieren zu gehen.”


Bis an die eigenen Grenzen gehen

Nach seinem Aufenthalt in den USA schließt er sich im Sommer 2020 der Viktoria an. Kein überraschender Schritt, spielten doch mittlerweile mehrere seiner ehemaligen Teamkollegen aus Alzenau am Schönbusch. „Klar war es auch ein Argument, mit Luca Dähn, Philipp Beinenz und Hamza Boutakhrit wieder zusammenspielen zu können. Auch Trainer Jochen Seitz kannte ich ja auch meiner Zeit in Alzenau”, räumt er ein. Ein anderer Punkt sei aber nicht minder wichtig gewesen: „Ich war nach meiner Rückkehr aus den USA wirklich offener und ich realisierte, dass ich als ehemaliger Jugendspieler in Alzenau perspektivisch vermutlich nicht weiterkommen würde und ein Wechsel mich voranbringen könnte.” Eine weitere Komponente von Bedeutung ist, dass sich seine Einstellung in Sachen Leistungsgedanke im Sport während seines Amerika-Aufenthaltes verändert hat. „Früher war ich eher nicht derjenige, der bis an seine Grenze und vielleicht auch einmal darüber hinaus gegangen ist. Es hat eben immer gereicht und ich musste nie mehr tun, um mein damaliges Level zu halten. In Amerika habe ich erfahren, was es heißt, wirklich in jeder einzelnen Trainingseinheit ans Limit zu gehen und immer mit vollem Einsatz zu agieren. Das hat mich fasziniert und geprägt und das versuche ich seitdem weiterzuführen.”


Seit Sommer 2020 am Schönbusch und länsgt angekommen bei der Viktoria (© Moritz Hahn)

Es läuft bei Eli in dieser Saison

Was ihm definitiv zu gelingen scheint. Seine sportliche Bilanz in dieser Saison kann sich sehen lassen, ist er doch – trotz aktueller SVA-Torflaute – der erfolgreichste Schütze und eben einer der konstantesten Spieler dieser Saison. Und das, obwohl er in Vollzeit bei der ING Bank in Frankfurt am Main als Anti-Money Laundering Analyst tätig ist und seinen Aufwand für den Regionalliga-Fußball sozusagen nebenher stemmen muss. „Ich bin einer von 5.000 Angestellten und habe da keinerlei Sonderstatus. Von daher muss ich immer genau planen, wann ich wie und wo Zeit für den Fußball einplanen muss und hab das dann entsprechend zu organisieren”, erklärt Niesigk und fügt lachend hinzu: „Aber das habe ich ja in unserem Elternhaus bestens gelernt.” Durch die Corona-Pandemie arbeitet aber auch er oftmals im Home-Office, was eine Erleichterung für seinen Tagesablauf in puncto Viktoria darstellt. „Wenn ich wirklich jeden Tag bis 17 Uhr im Büro in Frankfurt vor Ort sein müsste, wäre das 18 Uhr-Training sicherlich ab und zu ein Problem. Von daher kommt mir dieses Modell sehr entgegen.”

Fest steht, Elias Niesigk ist angekommen bei der Viktoria und hat seinen Platz gefunden. „Vertrauen ist mir immer sehr wichtig, egal mit wem ich in einer Beziehung stehe. Dieses Vertrauen genieße ich hier, auch die Mannschaft hat mich mit meiner Art zu spielen akzeptiert. Und auch wenn es nicht immer elegant aussieht und ich den Verein nicht alleine durch eine Saison schießen kann, haben alle angenommen, dass ich zurecht in diesem Team stehe und mit meinem Können auch weiterhelfen kann. Dieses Gefühl schafft Vertrauen, ich fühle ich mich wohl und kann meine Leistung bringen.” Nicht nur durch seine Tore, sondern auch durch seine Art, unermüdlich zu rackern und bis zuletzt immer an den Erfolg zu glauben, taucht er nun doch immer öfter auf dem Radar auf. „Ich möchte einfach mit meiner Art und Weise der Mannschaft weiterhelfen. Viele Offensivspieler sind eher auf den eigenen Torerfolg aus, mir ist das erfolgreiche Abschneiden der Mannschaft viel wichtiger als mein ganz persönliches Erfolgserlebnis. Für mich gibt es nichts Genialeres, als nach 90 Minuten harter Arbeit mit der Mannschaft einen Erfolg feiern zu können”, bleibt er gewohnt bescheiden und rudert schnell wieder dorthin zurück, wo er sich am wohlsten fühlt: Unter dem Radar.


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Stand: 9. November 2021 / Autorin: Melanie Kahl-Schmidt / Redaktion: Moritz Hahn

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