Viktoria News
Einer, der für seine Leute durchs Feuer geht
18. August 2021

Benjamin Baier kehrte 2019 als Führungsspieler in seine Heimat Aschaffenburg zurück und weiß seitdem, was Heimat für ihn bedeutet

Lässig sitzt er auf der Bank am Trainingsgelände der Viktoria, um mit mir, Melanie Kahl-Schmidt, das Gespräch für dieses Porträt zu führen. Es dauert keine zwei Minuten und schon sind wir mitten in einer guten Unterhaltung. Benjamin Baier ist ein umgänglicher Typ, mit dem man schnell ins Plaudern kommt. Der 1,80 große gebürtige Aschaffenburger ist unkompliziert, offen für Neues und andere Meinungen und ebenso ehrlich in seiner. Er sagt, was er denkt. Und das ist gut so. Denn das macht ihn zu dem, der er ist. Ein Führungsspieler, der sich stellt. Egal wem und egal, wie schwierig die Situation auch ist.

„Ich kann mit Kritik umgehen und stecke sie mittlerweile weg. Deshalb stelle ich mich immer vor meine Mannschaft und speziell vor die jungen Spieler. Ich sage immer, beschimpft mich aber lasst die Jungs in Ruhe.“ Eine Einstellung, die er schon früh im Elternhaus in Aschaffenburg mitbekommen hat. Wie und warum er jetzt weiß, was Heimat bedeutet, haben wir von ihm in einem sehr persönlichen Gespräch erfahren.


Seit der Saison 2019/20 ist Benjamin Baier zurück in seiner Heimat und schnürt die Fußballschuhe wieder für seinen Jugendverein Viktoria Aschaffenburg in der Regionalliga Bayern (© Moritz Hahn)

„Für mich und meinen vier Jahre älteren Bruder Daniel gab es nichts Größeres, als mit unserem Vater ins Stadion zu gehen, danach von ihm auf den Platz geholt zu werden und in die Kabinen mitgehen zu können. Wir waren stolz wie die Schneekönige“, erinnert sich Benjamin Baier, genannt „Beni“ an seine Kindheit. Der Vater, Jürgen Baier, ist das Vorbild der beiden kleinen Racker und Fußballprofi u.a. beim 1. FC Köln, Hannover 96, den Offenbacher Kickers und Darmstadt 98. Und natürlich in Aschaffenburg. Dort – am Schönbusch – beginnt dann auch die fußballerische Reise der beiden Söhne. „Für meinen Bruder ging es in der U16 zu 1860 München und ich blieb erst einmal alleine mit meinen Eltern in Aschaffenburg zurück, was eine Umstellung war“, sagt er und fügt lachend hinzu: „Meine Mutter wollte unbedingt, dass ich die Schule mit einem ordentlichen Abschluss beende und entweder schulisch weitermache oder eine Ausbildung abschließe. Und wenn die Mama das will, muss man das als Sohn natürlich auch machen.“ Baier absolviert eine Schreinerlehre. „Das war so geregelt, dass ich trainieren konnte, wie es meine Entwicklung und die Ansprüche der Vereine erforderte. Trotz allem habe ich die Lehre abgeschlossen und auch wenn ich heute nicht in dem Beruf arbeite, bin ich froh, es damals so gemacht zu haben.“

Doch nicht nur das hat Beni Baier geprägt. „Meine Eltern haben uns Jungs immer dazu angehalten, ehrlich zu sein. Es war ihnen extrem wichtig, uns zu Menschen zu erziehen, die im Guten wie im Schlechten zu dem stehen, was sie tun oder sagen.“ Eine Eigenschaft, die Baier bis heute auszeichnet – auf als auch abseits des Platzes. Er stieg mit dem SV Darmstadt 98 in die 2. Bundesliga auf, war Kapitän von Rot-Weiss Essen und ist nun einer der Leader und Leistungsträger bei der Viktoria. „Fast am meisten geprägt hat mich aber meine Zeit in Leipzig“, räumt der mittlerweile 33-jährige Familienvater ein.

Einstieg ins Profileben mit viel Verzicht

Von seinem Heimatverein Aschaffenburg wechselt der defensive Mittelfeldspieler in die U19 zu den Offenbacher Kickers. Schnell wird klar, dass Baier mehr kann. Er trainiert bei den Profis mit und nimmt auch an deren Trainingslager teil. Sein Bruder Daniel spielt da bereits bei 1860 München und mehrere etwa gleichaltrige Spieler wie Marcel Schäfer, Simon Schmidt und Ivo Ilicevic verlassen Aschaffenburg ebenfalls Richtung Profifußball. „Das waren ein paar richtig gute Jahrgänge, die damals in Aschaffenburg ausgebildet wurden. In Offenbach wurde auch mir dann klar, dass ich auf die Karte Profifußball setzen möchte. Das war immer entspannt bei uns Zuhause. Es hat keiner von uns erwartet, dass wir diesen Weg gehen und so bestand keinerlei Druck oder Erwartungshaltung“, ist Baier heute froh über die Haltung seiner Eltern. Dennoch ist es ein stressiger Alltag damals: „Morgens bin ich zur Ausbildung gefahren, direkt danach zum Training gegangen und kam erst gegen 21 Uhr nach Hause zurück. Dann stand nicht selten noch lernen auf der Tagesordnung.“ Es ist Baier wichtig zu erwähnen, dass dieses Leben für junge Leistungssportler*innen immer eine gehörige Portion an Verzicht bedeutet. „Ich habe das Gefühl, dass das manchmal in der Öffentlichkeit gar nicht so wahrgenommen wird. Man sieht die Erfolge, aber nicht den Aufwand und den Verzicht, der dahintersteht. Ich konnte beispielsweise nicht mit Freunden spontan ausgehen und feiern, sondern habe nach Spiel- und Trainingsplänen gelebt.“

RB Leipzig als Härtetest

Er wechselt von Offenbach zu RB Leipzig, dem Top-Club, der damals zwar noch in der Regionalliga spielte, aber dennoch bereits voll auf das Erreichen des heutigen Erfolgs ausgerichtet war. „Die Zeit in Leipzig war in jeder Hinsicht unglaublich prägend für mich. Zum einen bin ich zum ersten Mal komplett von meinem Zuhause weg gewesen, konnte nicht mal schnell zurückfahren. Ich musste mich selbst versorgen und alles alleine organisieren. Das hat mir gutgetan“, gibt Baier zu. Dass er kochen kann und sich auch vor handwerklichen Herausforderungen nicht drückt, sei dieser Zeit geschuldet. Auch sportlich wird es zu einer Herausforderung für ihn. „Dort standen 20 Spieler im Kader, die die Leistungsfähigkeit und den Anspruch auf einen Stammplatz hatten. Da habe ich mich mit meinen 21 Jahren natürlich behaupten müssen, auch gegen einen langjährigen Bundesliga-Profi wie Ingo Hertzsch. Man spielt bei so vielen Profis, die überdurchschnittliche Qualität für eine Regionalliga-Mannschaft haben, dann schlussendlich trotzdem nicht immer und muss im Training dennoch geduldig weiterarbeiten.“

Mit Darmstadt 98 in die 2. Bundesliga

Nach dem verpassten Aufstieg macht RB einen Komplettschnitt und so ist für den mit einem Einjahresvertrag ausgestatteten Baier das Kapitel Leipzig nach einer Saison auch schon wieder beendet. Er kehrt in die Heimat zurück – fast. Er schließt sich zur Saison 2011/12 dem SV Darmstadt 98 an, der damals von Kosta Runjaic trainiert wird und in die 3. Liga aufgestiegen war. Baier will spielen und das am liebsten in jedem Spiel. Deshalb wechselt er zu einem Trainer, der ihn unbedingt haben möchte. Runjaic will ihn. In 75 Spielen trägt er das Jersey der Lilien und es hätten noch mehr sein können, wäre ihm nicht eine Verletzung kurz vor Abschluss der zweiten Saison in die Quere gekommen. „Ich bin dadurch im Aufstiegsjahr erst sehr spät in der Vorrunde zur Mannschaft gekommen, so dass sich die Stammelf schon gefunden hatte. Aber es ist schwer für einen Spieler, eine Chance in einem funktionierenden Team zu bekommen. Es wurden dann noch elf Spiele in der Saison, die natürlich mit dem Aufstieg in die 2. Bundesliga ihren absoluten Höhepunkt hatte.“ Der Erfolg der Lilien, tatsächlich den lang ersehnten Aufstieg unter Trainer Dirk Schuster zu schaffen, hing damals unmittelbar mit dem Verhalten der Spieler zusammen, die keine Stammspieler waren. „Die Jungs, die wie ich hintendran standen, haben nie schlechte Stimmung gemacht. Zu einem Aufstieg braucht man den ganzen Kader, da kommt es auf jeden Einzelnen an und das hat in Darmstadt damals perfekt gepasst“, gibt Baier Einblick hinter die Kulissen. „Wir haben von den Stammspielern das Gefühl vermittelt bekommen, genauso wichtig zu sein, wie sie selbst, weil wir den Laden mit zusammengehalten haben. Und wenn wir gebraucht wurden, waren wir da.“ Und das alles, obwohl Darmstadt vor dem Aufstiegsjahr eigentlich aus der 3. Liga rein sportlich abgestiegen war und nur durch die Insolvenz der Offenbacher Kickers überhaupt in der Liga bleiben konnte. „Ich erinnere mich noch an die erste Besprechung nach dem glücklichen Klassenerhalt. Dirk Schuster sagte uns, wir seien eine Mannschaft aus Absteigern und nicht wirklich gewollten Spieler. Viele von uns waren von anderen Vereinen aussortiert worden. Das hat uns angestachelt und zusammengeschweißt und schließlich auch zum Erfolg beigetragen.“


Benjamin Baier spielte ab der 2011/12 drei Spielzeiten beim SV Darmstadt 98 in der 3. Liga und stieg unter Trainer Schuster in die 2. Bundesliga auf (© Herbert Krämer)

Fünf Jahre Hafenstraße

In Anbetracht der Frage, ob Beni Baier in der 2. Bundesliga tatsächlich die Spielzeit bekommen würde, die er sich wünschte, entscheidet sich Baier 2014 für den Abschied aus Darmstadt. Er zieht weiter ins Ruhrgebiet, zu einem anderen Traditionsverein, der in der Regionalliga West spielt: Rot-Weiss Essen. Er ist bis heute durch seine Zweikampfstärke und sein gutes Stellungsspiel nicht nur als defensiver Zentrumsspieler gesetzt, er kann auch ein Spiel an sich reißen. Öffnende Diagonalpässe gehören dabei ebenso zu seinen Stärken wie Standards, die allesamt über ihn laufen, wenn er auf dem Platz steht. Baier reift dort in fünf Spielzeiten und 189 Pflichtspieleinsätzen zu der Führungspersönlichkeit, die er heute ist. „Alle, die mich kennen wissen, dass ich für meine Leute durchs Feuer gehe – wenn mich keiner verarscht. Dafür sage ich aber auch, was ich denke und halte mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg. Ich versuche immer, aus mir und den anderen das Maximum herauszuholen und damit bin ich bisher gut gefahren.“ Er sei da eher wie sein Vater, gibt Baier unumwunden zu: „Ich bin ein emotionaler Typ, was raus muss, muss raus und zwar ehrlich und offen dem anderen ins Gesicht.“ Ein Umstand, der als Kapitän und Vertrauensperson des Trainers nicht immer einfach zu handhaben ist. „Gerade wenn es schlecht läuft Dinge anzusprechen, die unangenehm sind und nicht jeder hören möchte, ist für mich mein Verständnis von Verantwortung übernehmen. Das habe ich immer nach allen Seiten hin so gehalten, ist aber nicht einfach.“ Acht Trainer und drei Manager erlebt er alleine in der Zeit an der Essener Hafenstraße. „Ich habe bei aller Ehrlich- und Direktheit immer versucht, mit den Trainern gemeinsam so viel wie möglich von dem umzusetzen, was gewünscht wurde. Aber jeder Trainer hat eigene Vorstellungen, eigene Co.-Trainer, eigene Spieler, auf die er setzt. Das hatte in Essen wenig mit Kontinuität zu tun und ist im Nachhinein betrachtet sicher unter anderem ein Grund, warum es mit dem Aufstieg nicht geklappt hat.“


Benjamin Baier spielte insgesamt 5 Jahre für Rot-Weiss Essen und führte den Traditionsverein von der Hafenstraße sogar als Kapitän auf den Platz (Foto: © Endberg)

Rückkehr in die Heimat Aschaffenburg

Jetzt ist Beni Baier seit 2019 wieder am Schönbusch. Zurück in der Heimat – privat und sportlich. Seine Frau Marlies stammt aus Obertshausen, der gemeinsame Sohn Ben ist sechs Jahre alt. Die Familie ist froh, wieder „daheim“ zu sein. „Der Begriff Heimat bekommt natürlich als Familienvater eine neue Qualität. Die Großeltern können den Enkel sehen, etwas mit ihm unternehmen. Wir als Eltern erfahren etwas Entlastung und die Wege sind wieder kurz und einfach. Da merkt man erst, welch großen Wert das Familienleben hat und wie wichtig es doch ist, eine Heimat zu haben, in der die Menschen leben, die man liebt.“ Doch auch beruflich und sportlich ist er mit dem Schritt „zurück“ zufrieden. „Ich kann hier beruflich mit meiner Tätigkeit bei der PASS Consulting Group Erfahrungen sammeln und trotzdem in der Regionalliga auf hohem Niveau Fußball spielen. Ich bringe meine Erfahrungen ins Team ein, bin mittlerweile Vize-Kapitän und in engem Austausch mit Trainer Jochen Seitz. Diese Wertschätzung bedeutet mir viel und ich hoffe, dass wir in den kommenden Jahren noch einiges in Aschaffenburg bewegen können.“ Zu einem weiteren Aufstieg in seiner Karriere würde Baier auf jeden Fall nicht nein sagen. „Das wäre natürlich mein ganz persönlicher Höhepunkt. Mit meinem Heimatverein, in meiner Heimatstadt, unseren Familien im Stadion und danach mit meinem Sohn auf dem Platz einen Aufstieg zu feiern ist eine geniale Vorstellung.“ Und der kleine Ben ist sicherlich jetzt schon genauso stolz auf seinen Vater, wie es Benjamin Baier einst auf seinen Vater Jürgen war.


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Stand: 18. August 2021 / Autorin: Melanie Kahl-Schmidt / Redaktion: Moritz Hahn

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