„Omnipräsent“ wäre das Wort, wollte man das Wirken Norbert Honers in den vergangenen Jahrzehnten auf einen kurzen Nenner herunterbrechen. Ob nun als Aktiver in den 60er und 70er Jahren, ob beim beherzten Griff ins Vereinsruder bei schwerem Wetter in den 80ern oder in den letzten Jahren bei jeder Auswärtsfahrt mit einer mobilen Bordküche nach dem Motto „Vereinsliebe geht durch den Magen“ für das leibliche Wohl der Spieler sorgend – stets widmete er sich der jeweiligen Aufgabe mit ganzer Kraft. Mit dem plötzlichen Tod von Norbert Honer am vergangenen Sonntag (13.12.2020) ist diese Kraftquelle nun versiegt.
An den Schönbusch gekommen war der gebürtige Dämmer 1964 im zarten Alter von 19 Jahren. In dieser Zeitspanne führte der Weg der Weiß-Blauen von der 2. Amateurliga Darmstadt über die Oberliga Hessen bis in die damalige zweitklassige Regionalliga Süd. Zwar stieg man aus dieser umgehend wieder ab, doch hielten die Topspiele vor Rekordkulissen – 12.000 Zuschauer gegen Nürnberg, 8.000 gegen 1860 München – manch einen Höhepunkt für den ausgewiesenen Defensivspezialisten Norbert Honer bereit, der im Laufe seines zehnjährigen Schönbusch-Engagements unter den Trainern Ernst Lehner und Manfred Brunner zum Mannschaftskapitän avancierte. In der Saison 1973/74 – man spielte zwischenzeitlich nach dem Regionalliga-Abstieg wieder in der Oberliga Hessen – ging mit einem vom TV 1860 Aschaffenburg an den Schönbusch gewechselten Fußballtalent ein neuer Stern am Aschaffenburger Fußballhimmel auf. Bei Felix Magath, von den Turnern seiner damals langen schwarzen Haare wegen nur „der Indianer“ genannt, verbanden sich fußballerische Genialität und jugendliche Disziplinlosigkeit – eine gar nicht so seltene Mischung. Für den die Kapitänsrolle innenhabenden, zwischenzeitlich knapp 30-jährigen Honer war das Grund genug, den seinerzeit rebellischen Jungspund unter seine Fittiche zu nehmen, auf dass er sich nicht selbst im Wege stehe. Selbst die Oberliga Hessen wäre schließlich schwer zu halten gewesen, wenn der Geist der 68er leicht verspätet am Schönbusch Einzug gehalten hätte. Die Klasse wurde letztlich aufgrund eines überragenden Magath gehalten, „der Widerspenstigen Zähmung“ konnte also als gelungen bezeichnet werden. Nach der Spielzeit verließ Honer den Schönbusch, um seine sportliche Karriere beim unterklassigen TSV Rottenberg ausklingen zu lassen.
Über ein Jahrzehnt später kehrte Norbert Honer in anderer Funktion auf die weiß-blaue Bühne zurück. Die Kulisse darf man sich wie folgt vorstellen: Nachdem die zweite Exkursion der Viktoria in die 2. Bundesliga zur Spielzeit 1988/89 mit dem sofortigen Wiederabstieg in die Oberliga geendet hatte, war in der folgenden Saison in finanzieller Hinsicht Schmalhans Küchenmeister. Im Februar 1990 kündigten Präsident Wolfgang Rath und Geschäftsführer Charly Kast ihren Rückzug an, woraufhin in der Jahreshauptversammlung am 22. März ein neues dreiköpfiges gleichberechtigtes Präsidium gewählt wurde, dem neben Heinz Heymanns und Norbert Theilig auch der frühere Viktoria-Aktive Norbert Honer angehörte. Zusammen mit Heymanns war Norbert Honer für eine namhafte Trainerverpflichtung verantwortlich: Nach dem Rückzug des glücklosen Rolf Grünther nahm – mit einem üppigen Zweijahresvertrag ausstaffiert – zur Saison 1990/91 der später zur Trainerlegende ausgerufene Werner „Beinhart“ Lorant auf der Trainerbank Platz. Im Februar 1991 legten Heymanns und Honer die Präsidentschaft nieder und übergaben an Wolfgang Albert. Die zuvor in Saus und Braus lebende Viktoria drückten in dieser Zeit Altschulden von 2,6 Millionen, was zu Querelen mit dem Hauptsponsor Alois Ammerschläger führte.
Noch im gleichen Jahr warf sich Norbert Honer noch einmal für seine Viktoria in die Schlacht. Das gerade frisch installierte Präsidium warf wegen „Grabenkämpfen mit dem Förderkreis“ am 22. Oktober das Handtuch. Um weiterhin die Geschäftsfähigkeit des Vereins zu gewährleisten, sprangen bis zur Wahl eines Notvorstandes kurzfristig in die Bresche Manager Bepp Maier, Werner Lorant, Helmuth Reuscher und, in der Funktion eines Beraters, Ex-Präsidiumsmitglied Norbert Honer.
Norbert Honer gehörte auch nach diesen Ausflügen in die Vereinspolitik immer dem „Inner Circle“ an und über viele Jahre galt seine Fürsorge der Mannschaft, die er auf ihren langen Auswärtsfahrten bis zuletzt stets mit sportlergerechter Nahrung aus der eigenen Küche versorgte.
Bei Generationen von Spielern stand und steht der stets leise auftretende, sein Gegenüber immer mit wachen Augen musternde Nobert Honer in hohem Ansehen. Von ihm sind die Worte überliefert: „Egal wie ihr spielt, von mir bekommt ihr immer was Gutes zu essen.“ Es wäre jedoch verfehlt, daraus abzuleiten, dass es dem fußballverrückten Norbert Honer schlicht egal war, welche „Fußballkost“ ihm im Gegenzug von seinen Schützlingen vorgesetzt wurde. Zuletzt zeigte er sich freilich sehr zufrieden. So hatte er noch vor wenigen Wochen gegenüber Kapitän Simon Schmidt geäußert: „Ich sehe den letzten Teil der zweiten Halbzeit eh nicht richtig, da ich damit beschäftigt bin, Euer Essen zuzubereiten. Aber das ist vielleicht auch gut so, da ihr dann immer gut spielt.“ Eleganter kann man sein Ego nicht unter den Scheffel stellen, hier spricht einer, der den Verein nie als eigene Bühne missbraucht hat.
Wir danken Dir, lieber Norbert, für alles, was Du in 55 Jahren Vereinszugehörigkeit für die Viktoria getan hast. Natürlich sind wir voller Trauer, dass Du aus dem Nichts und noch dazu völlig alleine Deine längste Auswärtsfahrt antreten musstest. Siege sind dort drüben bekanntlich nie zu holen. Nur eines mag tröstlich sein: Wie wir Dich kennen, hast Du bestimmt genug Proviant auf die letzte Reise mitgenommen…
Stand: 17. Dezember 2020 / Verfasser: Wolfgang Fleischer & Moritz Hahn
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