Beim Kultverein aus dem Arbeiterstadtteil Giesing zeigt sich in jüngerer Zeit, dass es nicht immer einfach ist, sportlichen Erfolg und die eigene Identität unter einen Hut zu bringen
Ein paar schöne Jährchen hat er schon auf dem Buckel, der TSV 1860 München, auch wenn die Jahreszahl 1860 im Vereinsnamen sich auf die Gründung des Turnvereins bezieht, die Fußballabteilung wurde „erst“ im Jahre 1899 gegründet. Über die Jahre hinweg hat das fidele Münchner Original, dem man im Vergleich mit dem piekfeinen, ungleich erfolgreicheren, aber eben auch irgendwie langweiligeren Stadtrivalen von der Säbener Straße ohne Bedenken das Adjektiv „schillernd“ zugestehen kann, viele Höhen und Tiefen erlebt. Des Öfteren balancierte man am Rande des Konkurses und befehdete sich in vereinsinternen Querelen, konnte aber auf der anderen Seite im Zuge seiner langjährigen Zugehörigkeit zum Profifußball einige schöne nationale und sogar internationale Erfolge feiern.[caption id="attachment_20641" align="alignright" width="300"]
Das BFV Toto-Pokal Halbfinale findet am 30. April um 18.30 Uhr statt.[/caption]Der TSV 1860 München gehörte zu den Gründungsmitgliedern der legendären Oberliga Süd, die im Oktober 1945 gegründet wurde und der auch die Viktoria lange Jahre angehörte. Die Löwen absolvierten 15 Spielzeiten (von 18) in der damaligen Eliteklasse, die Viktoria deren zehn. Insgesamt trafen beide Vereine in der Oberliga Süd 16-mal aufeinander, mit fünf Siegen, sieben Unentschieden und vier Niederlagen fällt die Bilanz knapp zugunsten der Viktoria aus. In der Saison 1962/63 wurden die Löwen unter Coach Max Merkel erstmals Meister in der Südstaffel und qualifizierten sich als solcher direkt für die im Jahre 1963 ins Leben gerufene eingleisige Bundesliga. Im Jahr darauf wurde man mit einem 2:0 im Finale über Eintracht Frankfurt zum zweiten Male DFB-Pokal-Sieger. Hierdurch zog man in den Europapokal der Pokalsieger ein, in dem man erst im Finale vor ausverkauftem Haus im Londoner Wembley-Stadion Westham United mit 0:2 unterlag. In der Spielzeit 1965/65 wurden die Löwen zum ersten und bisher einzigen Mal Deutscher Meister. 1970 stieg man in die damals zweitklassige Regionalliga (ab 1974: 2. Bundesliga) ab.Nach der Rückkehr in die Bundesliga zur Saison 1977/78 erfolgte eine Achterbahnfahrt. Man stieg sofort wieder ab, um dann neuerlich aufzusteigen. Doch abermals stand am Ende der Abstieg – und zu guter Letzt in der 2. Bundesliga der Lizenzentzug, da man sich mit dem Abenteuer Bundesliga finanziell übernommen hatte.
Sportliche Blütezeit unter Coach Werner Lorant
Den Zwangsabstieg in die Bayernliga konnten die 60er lange nicht korrigieren, erst 1991 stieg man mit Coach Karsten Wettberg wieder ins zweite Oberhaus auf und umgehend wieder ab. Zur Saison 1992/93 heuerte Coach Werner Lorant, der zuvor ein Jahr am Aschaffenburger Schönbusch Trainerstation gemacht hatte, bei den Giesingern an und schaffte mit ihnen den direkten Durchmarsch von der Bayernliga in die Bundesliga. Bis zur Jahrtausendwende konnten sich die Löwen dort stetig steigern, nicht zuletzt dank Stars wie Thomas Häßler und Martin Max. 1999/2000 wurde man Vierter, scheiterte aber in der Qualifikationsrunde zur Champions League an Leeds United. Von da an lief es sportlich nicht mehr gut. Im Oktober 2001 wurde Erfolgscoach Werner Lorant nach einer 1:5-Niederlage gegen den Lokalrivalen Bayern München entlassen. In der Saison 2003/04 verabschiedete man sich mit dem sportlichen Abstieg endgültig aus der 1. Bundesliga.
Langzeitbeziehung wider Willen: die Löwen und die 2. Liga
Die 2. Bundesliga sollte von nun an für 14 Jahre das sportliche Domizil der Münchner Löwen sein, nicht weniger als 18-mal (!) wechselte man in diesem Zeitraum die Trainerpferde, ohne den Absturz in das Zweitliga-Mittelmaß verhindern zu können. Zeitweise geriet man sogar in ernstliche Abstiegsgefahr. Überschattet waren diese Jahre auch von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die den Verein an den Rand der Insolvenz führten. 2006 rettete Lokalrivale Bayern München die Löwen, indem er deren Anteile an der Allianz Arena von 11 Millionen Euro abnahm und ein Rückkaufsrecht zusicherte. In der Spielzeit 2010/11 spitzte sich die Situation neuerlich zu, mehrere Spieler mussten verkauft oder abgegeben werden. Mit dem Einstieg des jordanischen Geschäftsmanns Hassan Ismaik als Investor hofften die Löwen ihrer Sorgen ledig zu werden. Am 30. Mai 2011 wurde ein Kooperationsvertrag unterzeichnet, in dem 60 Prozent der Anteile der 1860 GmbH § Co. KGaA an Ismaiks Firma mit Sitz in Dubai übertragen wurden. Im Gegenzug rettete dieser mit einer Überweisung von 18,4 Millionen Euro den Verein vor der Insolvenz.
„Wir wollen die Sechziger stark machen, wir wollen keine finanziellen Löcher mehr, wir wollen innerhalb von drei Jahren in die Erste Liga“, hatte der betuchte „Scheich“ mit seinem neuen Spielzeug große Pläne.
Löwen nach Ismaiks Finanzspritzen im Abstiegskoma
Sportlich konnten die 60er dieser Zielvorgabe allerdings in keiner Weise gerecht werden, atmosphärisch sorgte die neue Machtkonstellation zusehends für Querelen. Ab der Saison 2014/15 spitzte sich das Geschehen dann auch sportlich zu. Diese Spielzeit beendeten die Giesinger auf dem 16. Tabellenplatz und mussten in die Relegation, in der man gegen Holstein Kiel die Klasse halten konnte. Im Jahr darauf kam man wieder in sportliche Not. Mit dem kurzfristig eingesprungenen U21-Coach Daniel Bierofka, der das Team auf dem vorletzten Platz übernahm, glückten drei Siege in Serie, so dass der Absturz gerade noch verhindert werden konnte. Im Jahr darauf war auch auf das Glück kein Verlass mehr. Die Löwen, in der Spielzeit 2016/17 angetreten mit dem teuersten Kader der Liga (neben den späteren Aufsteigern VfB Stuttgart und Hannover 96), gerieten neuerlich in den Abstiegsstrudel und beendeten die Runde auf Relegationsplatz 16. Gegner in den Ausscheidungsspielen war Jahn Regensburg. Nach einem 1:1 im Hinspiel besiegelte eine 0:2-Niederlage im heimischen Grünwalder Stadion das Schicksal der Löwen und das mittlerweile „dienstälteste“ Zweitliga-Team musste abdanken.Allerdings fiel man nicht vergleichsweise weich in die 3. Liga, sondern prallte hart zwei Klassen tiefer in der Regionalliga Bayern auf. Der Grund war wie so oft pekuniärer Natur: Aufgrund von Differenzen zwischen dem Verein und Investor Hassan Ismaik war die zum Erhalt der Drittliga-Lizenz nötige Summe nicht fristgerecht hinterlegt worden. Zum neuen Coach wurde das schon zuvor interimsweise aushelfende 1860-Urgestein Daniel Bierofka bestimmt, der aus der U21 der Vorsaison, mit der er die Vizemeisterschaft in der Regionalliga Bayern errungen hatte, eine schlagkräftige Truppe formte, ergänzt lediglich durch einige „punktuelle Neuzugänge“ sowie durch zwei Stammspieler aus dem letztjährigen Profikader, Jan Mauersberger und Sascha Mölders. Der Etat für diese Saison belief sich auf 1,5 Millionen Euro. „Bieros“ Team machte nicht nur in den gegnerischen Stadien die Kassen voll, sondern sicherte sich auf Anhieb überlegen die Meisterschaft in der Regionalliga Bayern. In der Relegation konnte man sich knapp gegen Südwest-Meister 1. FC Saarbrücken durchsetzen und kehrte wieder in den Profifußball zurück.
Klamme Löwen wollen DFB-Pokal-Goldschatz heben
In die laufende Drittliga-Saison 2018/19 starteten die Löwen mit einem Etat von fünf Millionen Euro, nachdem die ursprünglich veranschlagten drei Millionen Euro im Juni 2018 durch Hassan Ismaik um zwei Millionen aufgestockt wurden. Man hielt sich vorwiegend im Mittelfeld der Tabelle auf und rangiert nach 33 absolvierten Spieltagen derzeit auf Platz 9. Coach Daniel Bierofka apostrophiert die verbleibenden fünf Ligaspiele der Löwen als „Endspiele“, in denen es möglichst schnell noch die für den Klassenerhalt nötigen Punkte zu holen gelte. Zwar standen die Giesinger in der Tabelle schon etwas besser da, doch letzten Endes dürften die derzeit sieben Punkte Vorsprung auf den ersten Abstiegsplatz 17 ausreichend sein, um das Minimalziel Klassenerhalt zu realisieren. Ein großes Ziel freilich bleibt: Man will sich noch für den DFB-Pokal qualifizieren, der sich bestens dazu eignet, die notorisch klammen Kassen zu füllen. Das geht auf zwei Wegen. Entweder man wird mindestens Vierter in der 3. Liga, was die Löwen aber angesichts von bereits 12 Punkten Rückstand abschreiben können. Alternativ müsste man den BFV-Pokal gewinnen, wo die Giesinger bekanntermaßen bereits im Halbfinale stehen. Zwei Etappen müssen hier noch genommen werden, um an die Fleischtöpfe des DFB-Pokals zu gelangen. Wobei man an der Isar die höhere Hürde sicherlich im potentiellen Finalgegner Kickers Würzburg sieht, gegen den die Bierofka-Truppe bereits in der Liga (1:1; 1:2) so ihre Probleme hatte.[caption id="attachment_20738" align="alignleft" width="600"]
Das Objekt der Begierde. Der BFV-Toto-Pokal.[/caption]Ein Sieg im BFV-Toto-Pokal ist also viel mehr wert als die ausgelobte Siegprämie von 5.000 Euro, streicht doch jeder Qualifikant für die 1. Hauptrunde des DFB-Pokals vorab schon mal eine Antrittsprämie von 140 000 Euro ein.
Debatte um den künftigen Kurs: Konsolidierung oder Investitionen?
Hart gerungen wird aktuell um die Frage, wie sich der Verein mit Blick auf die Zukunft finanziell aufstellen soll. Präsident Robert Reisinger und die Cluboberen plädieren für einen strikten Konsolidierungskurs, der die finanzielle Unabhängigkeit von Investor Ismaik gewährleistet. Notwendig seien dafür harte Sparmaßnahmen und für die Saison 2019/20 eine Etatkürzung von derzeit 4,6 auf 3 Millionen Euro. Im Jahr darauf soll der Etat noch einmal um 500.000 Euro gesenkt werden. Mit diesem Etat, so die einhellige Überzeugung, geht es für die Löwen in den nächsten Spielzeiten nur gegen den Abstieg. Das Szenario fußt auf der Anweisung des Präsidiums an die Geschäftsführung der KGaA, künftig ohne Darlehen und Genuss-Scheine des Investors Hassan Ismaik zu planen.Die zweite Option präsentiert sich etwas abgemildert. Hierzu wären die drei eingeplanten Millionen plus eine weitere Million nötig. Mit diesem Etat läge man in etwa im Mittelfeld der Liga, der noch entwicklungsfähige Kader könnte damit zusammengehalten werden.Option Nummer 3 ist die sportlich ehrgeizigste und strebt die Rückkehr in die 2. Bundesliga in ein, zwei Jahren an. Um realistische Chancen auf den Aufstieg zu haben, läge der Finanzbedarf bei fünf Millionen Euro. Damit können der Kader gehalten und zusätzlich punktuelle Verstärkungen geholt werden. Befürworter findet dieses Szenario in Coach Daniel Bierofka, Geschäftsführer Günther Gorenzel und dem neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Athanasios Stimoniaris, der auch als Sprecher Ismaiks fungiert. Stimoniaris stellt dazu klar:
„Hassan und ich stehen dazu. Wir wollen Bierofkas Wünsche erfüllen. Aber ich denke, es ist nachvollziehbar, dass das zu unseren Bedingungen geschieht.“
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